Viele Konzepte, um die Informatik von heute zu verwalten, sind starr und wenig flexibel. Obwohl die IT immer vernetzter und schnelllebiger wird. Teilen Sie diesen Eindruck?
Martin Andenmatten: Ja, viele IT-Management-Konzepte sind heute immer noch stark tayloristisch aufgebaut. Es gibt arbeitsteilige Strukturen und durchstrukturierte Prozesslandkarten. Das hat zur Folge, dass Funktionen und Rollen in der Organisation so angeordnet und verteilt sind, dass eine maximale Kontrolle über die Erledigung der Aufgaben sichergestellt werden kann. Das kann oft auch lähmend und bremsend wirken.
Was hat das für Folgen?
Wenn das Business seine Projekte bei solchen Betriebsmodellen in Auftrag gibt, führt das zu stark fragmentierten Arbeitsschritten. Das ist bis in die betriebliche Bereitstellung der zu liefernden Ergebnisse spürbar. Die Projektideen werden von Team zu Team weitergereicht, meist mit unterschiedlichen Tools, die nicht immer sinnvoll ineinander integriert sind. Dann gibt es Gremien, welche die Arbeit begutachten, und Hierarchien, die sie kontrollieren und absegnen. Jedes Team ist dabei darauf fokussiert, den Input und Output seiner Prozesse aus dem jeweiligen Blickwinkel zu überprüfen und bei mangelnder Qualität zurückzuweisen respektive nachzubessern.
Das klingt nach viel administrativem Aufwand.
Ja, es braucht für alle Vorgänge Protokolle und Rechenschaftsberichte zur Nachvollziehbarkeit. Nicht selten gehen dabei eigentliche Informationen wie etwa der übergeordnete Zweck und die vom Business angestrebten Ziele verloren und entsprechend wundern sich die Auftraggeber oft, dass das gelieferte Produkt oder der erbrachte Service nicht der ursprünglichen Idee entspricht. Das IT-Management ist heute zu stark auf interne Ressourcen, Tools und Kontrollen fokussiert.
Ist es so überhaupt möglich, agil zu sein?
Es ist tatsächlich so, dass die heute geforderte Agilität die traditionellen Arbeitsweisen stark infrage stellt. Denn der Markt bewegt sich in eine andere Richtung. Geschäftsprozesse sind zunehmend zu digitalisieren, was eine neue Dynamik und neue Bedürfnisse schafft. Ein weiterer Treiber sind technologische Entwicklungen wie die Cloud, das Internet der Dinge, Big Data und die künstliche Intelligenz. Etablierte IT-Management-Konzepte stossen so an ihre Grenzen.
Welche Auswirkungen hat das für die Unternehmen?
Die Leistungsfähigkeit der eigenen IT-Organisationen wird im Business hinterfragt. Die Frage nach dem Mehrwert der eigenen IT stellt sich plötzlich ganz konkret. IT-Organisationen sind gezwungen, ihre Positionierung im Unternehmen neu zu definieren. IT-Organisationen behaupten ja, einen unterstützenden Beitrag an das Unternehmen zu leisten – ohne aber sagen zu können, was genau sie zum Geschäftsergebnis beitragen.
War das nicht schon immer so?
Ja, aber neu steht nun der konkrete Geschäftswert von Anfang an im Fokus. Er muss mit einem neuen Betriebsmodell, basierend auf einem Serviceportfolio, auf Agilität, DevOps und Service-Management über den gesamten Lebenszyklus hinweg sichtbar bleiben und sichergestellt werden. Der Wert wird durch die angestrebten Ergebnisse beim Kunden bestimmt, die durch Businessprodukte abgeleitet werden und nicht durch die aus IT-Sicht erfolgreiche Ausführung von IT-Projekten oder IT-Services.
Hat das auch einen Einfluss auf die Lieferkette?
Ja, der Wertefluss rückt in den Fokus des IT-Managements. Value-Chains und Value-Streams sind Betrachtungsweisen, welche die Entstehung des Werteflusses in der gesamten Lieferkette in den Vordergrund stellen. Der Wert bemisst sich an den Ergebnissen für das Business und beinhaltet alle Qualitätsansprüche hinsichtlich Sicherheit, Compliance, Verfügbarkeit, Performance und Kundenerlebnis.
Worauf müssen Unternehmen dabei besonders achten?
Wichtig dabei ist die Konzentration auf den Flow, den gleichmässigen, unterbrechungsfreien Fluss vom Serviceportfolio bis zur Nutzbarkeit im betrieblichen Alltag. Dieser Fluss muss möglichst reibungslos und ohne manuelle Unterbrechung erfolgen können. Automatismen prüfen notwendige Kontrollen und stellen funktionierende und geprüfte Lösungen bereit. Jeder manuelle Eingriff bremst den Flow und zerrt am Wertezuwachs.
Welche Rolle spielen die Mitarbeiter?
Obwohl mit der digitalen Zukunft noch komplexere Technologien und Werkzeuge zur Automatisierung beigezogen werden müssen, sollte das Augenmerk mehr auf die Mitarbeiter und deren Zusammenarbeit im Team gelegt werden. Die in den traditionellen IT-Management-Organisationen manifestierten Funktionssilos müssen niedergerissen werden. Die IT-Organisationen müssen sich wieder als ein Team verstehen, das gemeinsam die Lösung erarbeitet, um die vom Business erwarteten Ziele zu verwirklichen. Jeder muss seine Fähigkeiten und Aufgaben als Teil des Werteflusses einbringen und die Verantwortung mittragen können.
Wer Silos niederreisst, baut oft auch Hierarchien ab. Ist das nicht ein Problem für viele Manager?
Es wird immer Leadership brauchen, um die Richtung und Ziele vorzugeben. Das Beenden von Kontrollen und Überwachen bei den Managementstufen muss aber zur Diskussion stehen, damit mehr Selbstorganisation in den Teams möglich wird. Teams, die sich mit den zu erreichenden Werten identifizieren können, finden gemeinsam den für sie optimalen Weg, das Ziel zu erreichen. Das setzt Vertrauen voraus, welches das neue IT-Management durch mehr Coaching und damit weniger Kontrolle gewinnen muss. Damit muss eine neue Zusammenarbeitskultur geschaffen werden. Wie sagte schon Edgar Schein: "Das einzig Wichtige, was Führungskräfte zu tun haben, ist die Schaffung und das Management von Kulturen. Die Gabe echter Führungskräfte besteht in ihrer Fähigkeit, an Kulturen zu arbeiten".
Warum fällt es vielen Managern so schwer, die Kontrolle abzugeben?
Hierarchische Strukturen fördern Manager, die ihren Fokus auf Effizienz und Effektivität der zu leistenden Arbeit ihrer Teams legen. Der Schlüssel des persönlichen Erfolgs sehen diese Manager in der Planbarkeit, der Kontrolle und letztlich in der Nachweisbarkeit der erreichten Vorgaben. Sie verstehen sich als die "Erwachsenen" im Team, die das letzte Wort haben müssen. Mit der Aufgabe der Kontrollen glauben diese Manager, die Steuerfähigkeit und die Überwachung aus den Händen zu geben. Der Erfolg des Teams kann damit auch nicht mehr ihnen persönlich zugeordnet werden. Die eigene Managerrolle wird hinterfragt. Dies kann für den klassischen Manager eine Bedrohung darstellen und zur Sinnkrise führen.
Was kann ein Unternehmen tun, um eine neue Zusammenarbeitskultur zu schaffen?
Eine wichtige Voraussetzung ist, die Handlungsnotwendigkeit zur Änderung auf der Top-Führungsebene als dringlich zu erkennen. Die anstehende Digitalisierung verlangt nicht bloss eine technische Neuausrichtung, sondern eine eigentliche Transformation der gesamten Organisation. Agilität kann nicht von den Teams eingefordert werden, ohne selbst eine agile Leadership-Kultur vorzuleben. Solange sich Manager als "Chefs" aufführen, wird die neue Kultur nicht gelingen. Das verlangt, dass auch das Top-Management die eigenen emotionalen Bindungen zur Rolle, die Einstellungen und Werte hinterfragen und bereit sein muss, hier neue Wege zu gehen. Anstatt die Arbeit durch Bürokratie mit Regeln, Plänen und Berichten zu koordinieren, muss man damit beginnen, die Arbeit auch auf Managementebene durch agile Methoden mit iterativen Arbeitszyklen und direktem Feedback vom Business zu verstehen. Das braucht Vertrauen und wohl auch Geduld, bis sich der neue "Virus" in allen Teams verbreitet und die erwarteten Früchte trägt.
Viele Firmen setzen auf Cloud Computing, um agiler zu werden. Reicht das?
Cloud Computing ist ein idealer Enabler, um Agilität im Unternehmen zu fördern. Insbesondere durch Automatisierung und elastische Skalierung von Cloud-Ressourcen werden agile Teams in ihrer Arbeit und ihren dynamischen Bedürfnissen aktiv unterstützt. Die Teams werden dadurch unabhängiger und können freier entscheiden, wann und wie viel Ressourcen sie brauchen. Mit Cloud Computing ist aber ein Team nicht automatisch auch bereits agil. Agilität bedeutet im Kern ein anderes Zusammenarbeitsmodell mit der Delegation der Verantwortung ins Team. Diese Teams sollen so freier auf die Fragestellungen und Herausforderungen reagieren können. Zu so einem Modell muss sich das Unternehmen grundsätzlich durchringen wollen und dies seitens des Managements aktiv vorleben.
Wer ein Unternehmen in die Cloud bringen will, muss genau wissen, wie das Unternehmen funktioniert. Einverstanden?
Ja, das ist eine Grundvoraussetzung, um das Nutzenpotenzial der Cloud an den Bedürfnissen des Unternehmens auszurichten. Die Cloud ist nicht bloss eine Ablösung von bestehenden Ressourcen durch ein neues Service-Delivery-Modell. Man muss genau verstehen, wo die Hebeleffekte der neuen und kostengünstigeren Technologie die Businessagilität und schnellere Skalierbarkeit des Unternehmens unterstützen. Die Cloud-Strategie muss auf die Unternehmensstrategie ausgerichtet sein. Ohne dieses Alignment bringt die Cloud für sich nicht einmal finanzielle Vorteile für das Unternehmen.
Verlangt der Einsatz der Cloud auch ein Umdenken in der IT-Abteilung?
Das ist ganz entscheidend für eine IT-Organisation, dass sie ihr Betriebsmodell überdenkt. Traditionell sind IT-Abteilungen nach dem Plan-build-run-Modell aufgestellt. Von diesen technologiefokussierten Fähigkeiten braucht es Fähigkeiten in den Bereichen Brokering, Integration und Orchestrierung. Diese Skills müssen intern aufgebaut werden und lassen sich nicht beliebig einkaufen. Welche künftigen Rollen und Verantwortlichkeiten innerhalb der IT-Abteilungen notwendig sind, müssen beim Design des künftige Cloud-Betriebsmodells mit geplant und aufgebaut werden. Viele IT-Abteilungen realisieren diese neuen Anforderungen erst, wenn die Cloud bereits im Hause ist. Dann ist es vielfach zu spät.
Führt der Einsatz der Cloud in Unternehmen nicht zu einem Kontrollverlust?
Wer die Mechanismen und die Konzepte der Cloud nicht versteht, dem kann tatsächlich die Kontrolle entgleiten. Deshalb ist enorm wichtig für Unternehmen, dass sie ihr künftiges Betriebsmodell mit den notwendigen Steuerkontrollen an die neue Realität anpassen. Die Positionierung der internen IT als Service-Broker und Serviceintegrator muss mit der Festlegung der Cloud-Strategie definiert werden. Wenn man im Driving Seat bleiben will, darf man nicht blind auf die Fähigkeiten und Einschränkungen des Cloud-Providers vertrauen, sondern muss selbst einen aktiven und steuernden Part bei der Planung, Bereitstellung und Überwachung von Cloud-Ressourcen wahrnehmen.
Wie stellen Unternehmen sicher, dass sie trotz Einsatz der Cloud am Steuer bleiben?
Indem sich das Unternehmen mit den Gegebenheiten des Cloud-Ökosystems auseinandersetzt, bevor es beginnt, mit kritischen Daten in die Cloud zu gehen. Die Anforderungen bei der Auswahl des Providers und des Cloud-Service müssen mit den Kriterien ergänzt werden, welche die Steuerung und Kontrolle ermöglicht. Dies schliesst die Sicht der gesamten Supply-Chain, die Vertragsbedingungen, die Sicherheits- und Datenschutzmechanismen, den Betrieb sowie Portabilitäts- und Interoperabilitätsaspekte mit ein. Unternehmen dürfen sich nicht einfach auf die Zugeständnisse und Fähigkeiten der Cloud-Service-Provider stützen, sondern müssen selbst Mechanismen einrichten, um die Leistungen der Cloud zu überwachen.
Wie sollen Unternehmen vorgehen, die wieder aus der Cloud rauswollen?
Das wichtigste Asset in der Cloud sind die darin verarbeiteten Daten. Dass das Unternehmen jederzeit seine Daten wieder zurückmigrieren oder zu einem anderen Cloud-Provider portieren kann, gehört bereits bei der Auswahl des Cloud-Providers zu einem der zentralen Use-Cases, die insbesondere bei kritischen Unternehmensdaten jederzeit gewährleistet werden muss. Dieser Fall sollte ein guter Cloud-Service-Provider jederzeit ermöglichen, um nicht einem Vendor Lock-in zu unterliegen.