Künstliche Intelligenz ist omnipräsent, das Interesse daran ist gross. Wie stark ist KI bereits in Schweizer Firmen angekommen?
Andy Fitze: Im Jahr 1946 setzte die Dampflok "S 1 No. 6100" der Pennsylvania Railroad mit 227,2 km/h einen neuen Geschwindigkeitsrekord. Sie war damit ihrer Zeit weit voraus. "Weiten" existieren auch in Bezug auf künstliche Intelligenz. Es gibt Firmen, welche die Pace setzen, und andere, die gemütlich durch die Landschaft tuckern. Erfreulicherweise hat das Interesse an echten praktischen Use Cases, Projekten und Technologien in der Schweiz in den letzten zwei Jahren massiv zugenommen. Es gibt sie, die Pennsylvania-Loks: Firmen, die neue, intelligente Technologien als Chance begreifen, ihre Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln. Sie sind gleichsam die superschnellen "S1"-Dampfloks der KI-Zeit, die "AI Advanced Pioneers". Dank ihres Muts führen sie den Kunden, dem Markt, den Mitarbeitern und der Konkurrenz vor, wie man zusammen mit Partnern KI-Kompetenzen schnell und zielgerichtet aufbaut.
Aber es sind nicht alle soweit?
Es gibt viele Firmen, die noch nicht einmal die "Schienen" verlegt haben, um einfachste smarte Technologien nutzen zu können. Und diese Firmen sind leider noch klar in der Überzahl. Diese "AI Novices" werden in den kommenden Monaten und Jahren unweigerlich und ausnahmslos alle mit den verschiedenen Technologien rund um KI in Kontakt kommen. KI ist keine launische Mode. KI ist gekommen, um zu bleiben.
Welche Use Cases für KI überzeugen Sie am meisten?
Wenn Algorithmen in einem portugiesischen Universitätsspital helfen, Leben zu retten, weil sie Ärzte und Pfleger dabei unterstützen, Patienten früh genug auf die Intensivstation zu verlegen, dann bin ich tief beeindruckt. Ganz allgemein gesagt finde ich es absolut faszinierend, wenn mit solchen smarten Technologien Rettung, Diagnose, Therapien und letztlich Heilung für Menschen möglich wird, die bislang von einfachster medizinischer Betreuung ausgeschlossen waren. Ich denke hier an den Grünen Star, an Hautkrankheiten, an die Möglichkeit, die Immunität zu verbessern, und vieles andere mehr. "AI for Good" werden all die Anstrengungen genannt, mit neuesten smarten Technologien die 17 "Sustainable Development Goals" der Uno zu erreichen. Diese Ziele sind im Hinblick auf das Verständnis für KI zentral. Die Schweiz übernimmt bei der Weiterentwicklung dieses Programms eine wichtige Rolle, sind doch viele zentrale Aufgaben in Genf angesiedelt.
Ist das, was Unternehmen heute einsetzen, wirklich schon KI oder nicht vielmehr durch Algorithmen befeuerte Statistik?
Es stimmt schon: Nicht überall, wo KI draufsteht, ist auch tatsächlich KI drin. Wer sich als Leader oder Technologieexperte mit den Möglichkeiten von smarten Technologien auseinandersetzt, wird rasch erkennen, dass sowohl neuste Deep-Learning-Algorithmen wie auch bessere Statistiken ihren Platz und ihre Berechtigung haben. Wichtig ist das Kuratieren von verschiedenen Technologien, Konzepten und Talenten, damit sie in neue, smartere Produkte und Dienstleistungen überführt werden können. Wer das nicht tut, wird an der Firmenkultur und an fehlenden Talenten scheitern, und nicht an der Technologie. In diesen stürmischen Zeiten der "künstlichen Intelligenz" ist also echte menschliche Leadership gefragt und vordringlich. Gibt es noch weitere überzeugende Use Cases? Man könnte hunderte weitere, tolle und beeindruckende Beispiele anführen. Ich nenne an dieser Stelle nur deren zwei: Dank KI sind Containerschiffe 30 Prozent effizienter unterwegs als bisher, und Blinde können dank Videoerkennung eine neue Lebensqualität erfahren. KI ist also nicht einfach ein weiteres Lean-, Cost-Cut- oder Schnallt-die-Gürtel-enger-Programm. KI-Technologien werden auch Ihr Geschäftsmodell radikal verändern. Wenn man die News verfolgt, die Tag für Tag weitere Fakten anführen, kann man gar nicht zu einem anderen Schluss kommen.
Warum ist Cloud Computing für eine KI-Strategie wichtig?
Cloud Computing ist nicht nur wichtig, es ist absolut zentral. Allerdings wird "Cloud" immer noch zu oft als "Economy of Scale" verstanden: als tiefer Preis pro Einheit. Das ist nicht nur falsch und irreführend, sondern verhindert auch, dass wir am echten Potenzial der Cloud teilhaben können. Die Cloud ist nicht einfach die bessere Kostenstruktur. Die Cloud bedeutet "Economy of Scope" mit neuen Zugängen zu Funktionalität und Businessnetzwerken, die inhouse schlicht nicht zu haben sind. KI hat sich exakt diesem Konzept verschrieben – KI-Services werden heute global angeboten und weiterentwickelt. Die KI-Räder immer wieder aufs Neue selbst zu erfinden, ergibt schlicht keinen Sinn.
Was müssen Firmen beachten, wenn sie KI-Lösungen aus der Cloud einsetzen wollen?
Tatsächlich müssen, bevor dieser Schritt getan wird, dringend ein paar Hausaufgaben erledigt werden, gleichsam die Pflicht vor der Kür. Kurz und bündig: Wer seine Datenarchitektur beziehungsweise Governance nicht offen gegenüber der Cloud und APIs gestaltet, wird keinen vernünftigen Technologiestack für KI-Lösungen aufbauen können.
Wie werden sich durch den Einsatz von KI die Prozesse und Geschäftsmodelle von Firmen verändern?
Wenn wir durch Technologien unsere Erkenntnisse über Märkte und Kunden vergrössern, unser Handeln optimieren, unsere Innovation beschleunigen und unsere Talente besser einsetzen können – dann sollten und werden wir das tun. In Kombination mit anderen Schlüsseltechnologien wie Blockchain, Robotics und Quantum Computing werden wir sehr radikale Veränderungen der Wertschöpfung erleben. In der Schweiz verfügen wir über die besten Voraussetzungen, uns via Forschung und Innovation als "globaler KI-Hub" zu positionieren und uns einen der vorderen Plätze im KI-Universum zu sichern. Genau dafür setzen wir von Swisscognitive uns zusammen mit unseren Partnern ein.
Eurocloud Swiss veranstaltet am 3. April einen Event zum Thema "KI"
Die Cloud ist Treiber für den erfolgreichen Einsatz von künstlicher Intelligenz in Unternehmen. Eurocloud Swiss wird am 3. April 2019 dieses Thema zusammen mit Experten und einem interessierten Publikum diskutieren und Erfahrungen austauschen.